Fragmente
von
Bernd Pol

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Hier stehen angefangene Texte,
abgebrochene Texte
oder Texte, die irgendwann fertig geschrieben werden sollen –
nur weiß der Himmel, wann ...

Zur Zeit sind das:
Q - Ein SciFi-Poem
Fremdes Land - Ein wenig kafkaesk

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Bitte beachten Sie auch bei diesen fragmentarischen Texten das Copyright.
(© Bernd Pol 2002 ff., Alle Rechte vorbehalten.)

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Etwas zum außerirdischen Leben

Q - Ein SciFi-Poem

Eigentlich sind es "die Q" - außerirdische Wesen ohne eigene Gestalt, Meister der Mimikry, deren einzige Aufgabe darin besteht, andere Wesen für einige Zeit nachzubilden - und niemand weiß im Grunde warum.

Aber es geht auch um einen Planeten, der lebt und von seiner armseligen kleinen Sonne wegkommen möchte.

Und es geht um Zwei alleine in einer Kneipe, die einen Plan machen wollen, und ihren Wirt, der einfach nur da ist.

Ursprünglich war das ein Experiment für ein Prosagedicht.
Es hat aber ein Eigenleben entwickelt. Seinen ganz eigenen Sog.
Und jetzt wartet es darauf, fertig zu werden ...

Q

»Man müsste einfach nur einen Plan machen.«
»Einen Plan? Was für einen Plan?«
»Keine Ahnung. Halt einfach so. Einen Plan halt.«

Schweigen. An der Theke steht einer und redet unverständlich mit sich selber. Gläser klirren, wie der Wirt sie umgekehrt aufs Blech stellt. In einem Aschenbecher glimmt eine schlecht ausgedrückte Zigarette mit einem dünnen Rauchfaden weiter.
Schweigen.
Jemand blickt dem Rauchfaden nach und sinnt.

»So? Einen Plan?«
Der Rauchfaden reißt plötzlich ab. Jetzt ist die Glut doch noch vor dem Ende ausgegangen.
»Warum auch nicht?«

Die Vorhänge sind zugezogen am Fenster in der Ecke neben der Tür. Da sitzen jetzt zwei und machen mit schweren Köpfen einen Plan. Und der Wirt bringt zwei neue Gläser.

Einfach so.

– – – – – – – – – –

Es gibt da irgendwo in einer fernen Ecke dieser Welt eine kleine Sonne. Rot ist sie und schwach und eigentlich nicht sehr lebensfähig.
Sie ist viel zu klein.
Aber sie brennt.
Und sie hat einen Planeten.

Er hat es in sich, dieser Planet. Er versteht sich auf die Welt. Er weiß, was er weiß.
Jedenfalls, soweit es ihn betrifft. Denn er ist ja nicht dumm. Nein.

Er fühlt. Er hört. Er sieht. Er lebt.

Und er will fort von hier. Fort von dieser armseligen kleinen roten Sonne. Fort aus der Trübsal. Fort zum Licht, zu den großen Brüdern irgendwo da draußen.
Raus aus der Einsamkeit.
Denn er lebt. Und Leben will Gemeinschaft.

Wenn er nur wüsste, wie.

– – – – – – – – – –

Über Zeit und Raum.

Wirklich?

Wie man's nimmt. Vielleicht eher zwischen Zeit und Raum. Oder besser, aus einer Zeit, aus einem Raum, in eine andere Zeit, in einen anderen Raum.
Was ist schon Zeit? Was ist schon Raum?
Und was Gestalt?

Die Q nämlich wandern von Gestalt zu Gestalt, sie wandern durch Zeiten, wandern durch die Räume.
Die Q wandern, weil sie sind: die Q.

Im Augenblick wandern sie in einem bizarren Raumschiff ohne Hülle, aber ausgestattet mit Hebelchen und Rädchen, mit Lichtern, mit Zeigern, mit Bildschirmen, über die grell flackernd bunte Muster streifen.
Und die Q liegen wie formlose Amöben in kleinen Trögen vor diesem Instrumentarium. Sie liegen und dösen und von Zeit zu Zeit stülpt einer einen Arm aus oder eine Tentakel oder einfach nur einen glibberigen Fortsatz, legt ein Hebelchen um, dreht ein Rädchen oder wischt von einem der Schirme die Farbe, damit dort womöglich nunmehr Kolonnen abspulen aus unverständlichen Zeichen, aus Zahlen vielleicht, in rasender Geschwindigkeit und überaus bunt schillernd.

Die Q wandern. Sie wandern in einem Raumschiff ohne Hülle, aber mit Bildschirmen, mit Hebelchen, mit Rädchen. Und alles ist bedeutungslos.

Wirklich.

Wenn die Q wandern, ist das ohne Bedeutung. Das Wandern ist ohne Bedeutung. Die Form ist ohne Bedeutung. Der Weg zählt nicht und nicht das Aussehen. Nur das Ankommen zählt. Das Da-Sein, das Dort-Sein, das So-Sein, eben so wie andere sind.
Denn die Q sind die Meister der Mimikry.

– – – – – – – – – –

»Man müsste hier alles ändern«, sagt einer und setzt sein Glas ab.

Der Wirt schaut von der Theke herüber, hebt zwei Finger und dann noch mal zwei und der andere nickt so nebenbei.
Denn sie machen einen Plan dort. Da in der Ecke hinter den Vorhängen neben der Tür machen sie sich einen Plan.

»Fort müsste man«, sagt einer.
Und der andere nickt.
»Weit fort«, sagt einer, »irgendwo ganz anders hin.«
Und der andere nickt.
»Einfach«, sagt einer, »einfach mal neu anfangen.«
Und der andere nickt. Ihm ist alles recht. Hauptsache, es gibt einen Plan. Einen schönen Plan.

Hauptsache, es bewegt sich was.

»Also«, sagt einer und beugt sich vor, »wir müssen weg von hier.«
Und der andere nickt ernst: »Hast du Geld?«

Da stutzt einer, schüttelt den Kopf, sieht den Wirt an, der gerade zwei Gläser bringt und noch zwei, zweimal Bier mit Korn auf den Tisch stellt und abstreicht auf den nassen Untersetzern.

»Hast du Geld?« fragt er schon etwas schwer und der Wirt schaut misstrauisch, weiß nicht gleich, wie's gemeint ist, entschließt sich aber zur Antwort, weil, es sind gute Kunden, die zwei da.
»Nein!« sagt er. »Und du?«
Der hebt die Augenbrauen, lächelt aber nicht.
»Immer!« sagt er und betont das nachdrücklich. »Wir machen hier nämlich einen Plan.«

Und der Wirt nickt und zieht sich zurück hinter seine Theke und beobachtet unauffällig und betont unbeteiligt – eine lauernde Katze – wie der Plan zwei Bier verschlingt und zwei Korn dazu.

Es ist schwierig, einen Plan zu machen.
Es ist schwierig, wenn man nicht weiß, wozu.

– – – – – – – – – –

Eigentlich ist es ja gar nicht wahr. Nicht einmal Tarnung ist es. Denn die Q tarnen sich nie. Sie nehmen an. Sie legen ab. Sie übernehmen.
Das ist alles.
Aber sie spielen gerne. Einfach so.

Die Hebelchen und Rädchen, die Bildschirme mit ihren Farben- und Kolonnenräuschen, das ganze hüllenlose Schiff – alles nur Spiel. Ja, auch die Q selbst, wie sie so da liegen in ihren Wannen, diese Amöben – nichts als Spiel.

Die Q wandern, und es ist ein Spiel.
Es wäre Ernst, vielleicht, hätten sie ein Ziel. Nur, die Q kennen kein Ziel. Niemals.
Denn sie sind die Q.

– – – – – – – – – –

So ist es.

Wenn die Sonne sich dreht, ändert sich das Leben. Denn sie hat zweierlei Gestalt, eine helle Seite, eine dunkle. Und sie dreht ihre Seiten langsam über ihren Planeten weg.
Das ist einfach.
Er wandert, läuft auf seiner Bahn um sie herum, und sie dreht sich, entkommt ihm, gerade nur um ein weniges schneller. Und so entzieht sie sich ihm.

Nie hat er sie fest für sich. Nie die dunkle Seite. Nie die helle.

Sie ändert sich über ihm. Sie dreht sich weg von ihm. Und so gerät er, ganz langsam, in vielen hundert Umläufen, ihr ins Licht und hält sich dort, wieder für viele hundert Umläufe, klammert sich fest an ihr, will Dauer in dieses Glück.
Doch sie entzieht sich. Wächst in die Helligkeit durch Hunderte von Umläufen, nimmt sie ihm wieder, durch Hunderte von Umläufen. Und dann stirbt er wieder in ihr Dunkel hinein.

Doch, so ist es.

Es lebt, es stirbt auf ihm. Und es ist sein ganzes Leben, wenn es lebt, ist ganz sein Tod, wenn es erstirbt. Und er weiß das. Und er will es nicht mehr sein. Nie wieder so.
Fort will er von hier. Mit seinem ganzen Leben fort von ihr. Denn diese Nähe hält er nicht aus.

Er denkt. Ja. Er weiß. Ja. Und er will endlich Dauer in sein Leben. Ja!

– – – – – – – – – –

»Sonne«, sagt einer. »Wir brauchen Tag und Sonne.«
»Ja«, nickt ein anderer schwer. »Und die Nacht. Die Nacht auch.«
»Vor allem!« nickt da einer nachdrücklich und malt mit der flachen Hand auf dem Tisch. »Vor allem Nacht. Und Tag auch. Und Sonne.«
»Und Mond. Den Mond auch.«
»Ja. Und Mond. Vielleicht.«

Warum Mond? denkt der Wirt, lehnt den Bauch gegen die Theke und starrt in die gedämpfte Lampe über dem Tisch, starrt hinüber in die Ecke hinter der Tür, starrt, bis ihm das Licht im Kopf zum Mond anwächst, zum kugeligen, gelblichen Mond, und der schwebt dort über dem Plan.

»Das Wetter ist aber auch wichtig«, sagt einer und fixiert den Wirt, weil er nicht weiß, was der will, starrt einfach zurück, der Sicherheit halber, nur einfach so.
»Sicher. Das Wetter. Und der Mond. Ja.«
»Es ist nämlich wichtig, das Wetter. Weil – regnen darf es da nicht.«
»Nein. N'türlich. Kein Regen! Nicht bei Mond!«

Bei Vollmond, denkt der Wirt. Dann schließt er die Augen und sehnt sich den Mond herbei. Und Feierabend, Sperrstunde.
So müde fühlt er sich plötzlich. So richtig schlapp.

Doch das geht vorbei. Später. Im Mond.

– – – – – – – – – –

Hat er einen Mond?
Er hat einen. Doch, wirklich.
Aber er weiß es nicht.

Es sind sogar zwei Monde. Nur, er kennt sie nicht. Sie sind da, sie sind Teile von ihm, gehören ihm an. Gehören ihm so sehr, daß er sie noch nie erfahren hat, bewusst erfahren nämlich.

Er hat zwei Monde, die hat er nicht.
Weil er sie nicht weiß.

Es gibt Gründe dafür. Es gibt Gründe dagegen. Dafür, das ist – die Monde sind sehr klein. Sie machen sich kaum bemerkbar an seinem Himmel dort oben. Auch im Licht nicht, wenn die Sonne sie anstrahlt in der Dämmerung, auch nicht bei der ganzen Strahlkraft ihrer helleren Seite. Selbst dann nicht.
Weil, nämlich – sie sind außergewöhnlich dunkel. Fast schwarz sind sie, sie saugen ihr Licht voll in sich ein, geben nichts ab von sich. Kaum etwas vom Licht jedenfalls.
Nicht der Rede wert.

So weiß er nichts von seinen Monden.

Und Gründe dagegen? Gründe für das Wissen? Gegen das Nichtkennen? Das Nicht-Erkennen? Gründe auch dafür?
Sicher. Aber ja.

Die nämlich gibt es gerade auch dann, wenn die helle Seite der Sonne wirkt.

Denn dann wächst ihm das Leben aus. Dann treibt es in ihm, ein paar hundert Umläufe lang, während ihn die helle Seite der Sonne einholt, während ihm warm wird dort in seiner Kruste.
Denn dann bewegt sich etwas, dann wird es erst ledrig dort, dann wachsartig weich, dann schmilzt es und seichte Tümpel quellen hinaus durch seine Krustennarben.

Nicht lange, und der ganze Planet hat sich mit einem flachen, glibberig glitschigen Meer bedeckt.

Doch das, das ist hier nur der Anfang, nicht viel mehr als ein erster Lebenskeim. Ein paar Umläufe lang, da ruht es, das Meer. Da wärmt es sich auf. Da saugt es Willen hinein in sich, einen unbändigen Willen zum Leben.

Und das, genau das, machen ihm die Monde hier.
Ja, die Monde.
Und er weiß nicht, was, und weiß nicht wie.

Er weiß nicht.

– – – – – – – – – –

Das ist es, was die Q bewegt: Man weiß etwas, man weiß etwas nicht. Das Wissen, das Nicht-Wissen, das Wissen-Wollen, das Wissen-Müssen, das treibt sie an.
Sie ziehen von Ungewusstem zu Ungewusstem. Sie saugen es auf. Sie nehmen seine Formen an, seinen Inhalt. Sie durchleben es ganz vom Nicht-Wissen zum Wissen, zum vollständigen Kennen, zum sich selbst bewussten Sein.
Und dann legen sie es ab und ziehen weiter. Einfach so.

Denn Wissen ist Leben für die Q. Ist Gelebt-Haben. Ist lebendig gewesen sein.

Deshalb wandern die Q von Gestalt zu Gestalt, wandern sie durch die Zeiten, durch die unendlich vielen geschaffenen Räume.
Sie schaffen nicht. Sie ernten nicht. Sie sind nur. Spiegel sind sie, von Leben zu Leben.
Dazu sind sie da. Hier. Dort. Überall.
Sie wandern, die Q.

Die Q sind das Wissen der Welt.
Die Q wandern.

– – – – – – – – – –

»Jetzt weiß ich!« sagt da einer in seiner Ecke, und der Wirt ist plötzlich hellwach.
Wenn er auch nicht recht weiß, wozu.

Das weiß auch der andere nicht. Er hat ein Notizbuch vor sich zwischen den Gläsern und schreibt, schreibt nachdrücklich und ausdauernd, schreibt Zeile um Zeile, fast über das ganze Blatt.
Und wie er fertig ist, weiß auch er hier schon nicht mehr, wozu, starrt auf das Blatt und reißt es heraus, zerknüllt es und läßt es fallen, abwesend, schon nicht mehr ganz da.

»Ich weiß es aber!« betonte da einer fest.
»Ja?« fragt der andere schwach und ist gar nicht mehr interessiert. Er ist ja schon nicht mehr da. Müde ist er, braucht Schlaf, sehr viel ausreichenden Schlaf.
Und eigentlich auch noch etwas zu trinken.
Doch dazu ist er bereits viel zu schwach.

»Was?« fragt sich der Wirt und schaut zu, wie da ein Kopf auf die Tischplatte sinkt. »Was weiß der da?« Und: »Wozu?« Und dann noch: »Es wird ja wohl Zeit.«

Da ist einer, der beachtet das nicht. Er weiß es. Jawohl, jetzt weiß er es. Wenn er es auch nicht sagen könnte. Vorausgesetzt, man hätte ihn gefragt. Nein, Worte dafür hat er noch keine.
Aber er weiß. Und das ist ja schon etwas.
Wenn nur dieser Durst da nicht wäre.

Doch da steht auch schon der Wirt mit zwei Gläsern dabei, holt einen Stuhl und setzt sich dazu, zu dem einen, der weiß, und dem anderen, der gerade mal nichts weiß.
»Geht aufs Haus«, sagt der Wirt und der eine nickt und der Wirt hebt das Glas, setzt wieder ab, hält es in der Schwebe, leicht geneigt zu dem einen hin.

»Da wär noch was.«
»Ja?«
»Was ist es?«
»Was?«
»Nun – was du weißt?«
»Ach das! Ja!«

Der eine schüttet sein Glas hinunter, setzt ab, stiert auf den Tische, auf seine Hände und des Wirtes Hände, und der Wirt stiert mit.

»Nun?«
»Nun was?«
»Du weißt...«
»Es! Ich weiß es! Sicher!«
»Was denn? Nun sag schon!«

»Das Leben!« sagt einer und richtet sich auf. »Ich weiß, wie es geht da, das Leben.«

»Ach so«, sagt da der Wirt und fühlt sich enttäuscht, hereingelegt und ziemlich enttäuscht. »Das Leben also. Und?«
»Nichts und. Das Leben halt. Ich weiß, wie es geht. Für den Plan, weißt du.«

Doch der Wirt weiß gar nichts, trägt nur die Gläser wieder zur Theke zurück, steckt sie ins Becken und auf das Blech, umgekehrt und mit mäßigem Zorn, doch so, dass es klirrt, so richtig und deutlich.

»Der Plan!« denkt er. »Das Leben!«
»Das Leben!« lallt da einer in seiner Ecke. »Ich weiß es.«
»Der Mond!« lallt ein anderer zurück und lässt seinen Kopf wieder auf die Tischplatte sinken.

»Der Mond!« denkt der Wirt und starrt wieder in die Lampe hinein. »Der Mond und das Leben! Und er weiß es! Ha!«

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Ein Mond. Und noch ein Mond. Und flache, glibberig warme Meere voll Zeug.
Davon weiß er nichts. Das ist halt so. Das ist ein Teil von ihm. Das ist da.
Aber daß das was wird. Das weiß er.

Es ist das Leben.

Doch es ist der Mond. Und noch so ein Mond.
Denn in dem Maße, in dem die Sonne hell wird und heiß über ihrem Planeten, in dem Maße, in dem es da schmilzt und sich verflüssigt auf seiner Kruste, in dem Maße beginnen die Monde ihr Werk.

Sie verlassen dazu ihre Bahnen, jawohl. Von einem inneren Zwang getrieben senken sie sich immer weiter hinunter, den Meeren auf ihrem Planeten entgegen. Es ist, als ob es sie anzöge dort unten, dort, wo es treibt, sich bereitet, sich ihnen entgegen wölbt und Flutberge schafft, die immer höher und immer schneller den Planeten umspülen, den Monden entgegen.
Schneller, immer schneller – und zum Schluss rasen zwei Monde, gegenläufig und über Kreuz in irrwitzigem Tempo so dicht es nur geht knapp über das Meer dort hinweg.

Und unter ihnen bricht die Hölle jetzt los.

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Es wird Zeit.

Es tut sich etwas, dort, auf dem Schiff der Q. Die Hebel und Räder erwachen zu eigenem Leben. Sie bewegen sich mehr und mehr ganz von selbst, verstellen sich, klappern, drehen und wandeln sich um. Hebel wird Zeiger und Zeiger wird Rad und Rad wird Was-weiß-ich, irgend etwas halt, was es so geben könnte auf dem Raumschiff der Q.
Nichts hat mehr Maß, und Menschenmaß ist das schon gar nicht.
Aber es tut sich etwas. Selbst ein Mensch könnte das merken. Die Sache da mit den Hebeln und Rädchen. Oder die Anzeigen, die einfach verrückt spielen, wo Farben und Zahlen sich wechseln, wo Anzeigen springen, immer rascher, immer mehr ohne Sinn, sich einfach auflösen, nicht mehr da sind, verschwinden, Löcher setzen in ihre Welt.

Verschwinden! Das ist es!

Die Q verschwinden aus dieser Welt. Sie erstarren, mitten in der Bewegung, sie lösen sich auf, sind einfach nicht mehr, nicht mal Amöben. Und die leer gewordenen Becken verharren noch etwas, dann zergehen auch sie, nach und nach, bis gar nichts mehr ist, nur noch ein Loch hier im Raum, hier in der Zeit.

Das ist es. Genau. Und doch wieder nicht.
Sie verteilen sich nur anders, die Q.
Es ist halt Zeit geworden für sie. Eine neue Aufgabe ist ihnen gewachsen. Und ihr passen sie sich jetzt an.
Wenn es auch etwas chaotisch wirkt, so im Übergang.

Doch das muss so sein.
Zumindest für jetzt. Und für diesen Fall.

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Neues braucht seine Zeit zum Wachsen. Und es geht durchaus nicht ruhig zu dabei.
Im Gegenteil.

Ein gutes Dutzend Umläufe oder mehr vielleicht kocht es im Glibbermeer auf dem Planeten. Hier wächst ihm die Sonne immer mehr in Licht und Hitze hinein. Grell wird es da über der Oberfläche und in den tiefen Schichten beginnt es zu brodeln. Blasen steigen auf, füllen sich mit Licht, mit Hitze, mit Lebenskraft. Und Blasen verschwinden wieder, aufgesaugt, absorbiert, aufgefressen von dieser zähen, schleimigen Haut, die wabert und spritzt, die aber trotzdem fest bleibt, die nicht reißt, die alles zusammenfasst, was dort unten gekocht und verrührt wird.

Denn gerührt wird in dem Meer. Auf Teufel komm raus.

Es ist eine wahre Pracht, was die Monde in ihren tollen Fahrten, kreuz und quer und gegenläufig und so dicht über dem Meer wie eben nur möglich, da vollführen.
Sie rühren, die Monde. Sie rühren sich dort in den Brei. Immer wieder. Immer neu. Und immer ein Stück Leben von sich. Umlauf für Umlauf. Und ein Dutzend mal um diese grell gewordene Sonne oder mehr.

Das zählt hier niemand.
Das ist halt so.

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»Es gibt nur eines, was zählt«, sagt einer und der Wirt streckt sich ein wenig und denkt sich nichts weiter dabei, nichts mehr, jetzt nicht. Denkt sich nichts, genau so wenig wie der andere, der da immer noch liegt mit dem Kopf auf der Platte und döst.

Dabei ist das wichtig.

Er weiß es zwar nicht wirklich, doch mit seinem Kopf hat er genau das erfasst, was die Verbindung quer durch Raum und Zeit, quer durch ganze Welten schaffen kann. Nicht immer zwar, nicht überall. Natürlich nicht. Aber für hier und jetzt, für diesen einen Augenblick – da hat er es.

Und deshalb ist er jetzt wirklich wichtig.

»Kaffee!« brüllt einer, und der Wirt fährt zusammen.
»Kaffee?« wiederholt er und fühlt sich immer noch blöde im Kopf vom vielen Dösen. »Wozu?«
»Für den da!« brüllt einer und packt mit der Linken den andern ins Haar, hebt ihm den Kopf an, daß der aus verquollenen Augen halb blind in die Gegend blinzelt und benommen grinst, etwas lallt, was noch von tief unten aus seinen umnebelten Träumen kommt.
Aber es zählt.
»Sie sind gleich da.«
Und dann sinkt er sofort wieder zurück in sie, denn einer hat ihm wieder den Kopf auf den Tisch gelegt, ganz zart, wie es nur ein Betrunkener kann.

»Kaffee«, nickt der Wirt.
»Ja! Mach ihn stark. Das zählt jetzt.«

Und einer hat noch immer die Linke im Haar eines andern. Die andere Hand fährt über die Augen. Die blinzeln zum Wirt hinüber, erkennen nur mühsam, wie der verschwommen hinter der Theke fuhrwerkt, und darüber denkt er kurz und angestrengt und entschließt sich zu mehr.

»Zwei Kaffee! Stark! Und meiner mit Rum! Ja?«
»Mit Rum? Gut!«

Gut ist das so und der Wirt ist froh, dass er zu tun hat und ist doch noch immer nicht richtig da, entscheidet sich zu noch einem Kaffee, noch einen für sich, und trällert ein wenig und denkt in sich selbst im Kreis wie eine leer laufende Maschine doch nur ein Wort:

»Kaffee!«

Das erfüllt die ganze Gaststube, dringt sogar in die schweren Träume des andern hinein, der darin wandert und wandert und immer im Kreis:
»Kaffee!«

»Kaffee! Und meiner mit Rum!«

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Das ist das Erste.

Die Q haben eine neue Aufgabe: Kaffee mit Rum! Was das soll, wissen sie nicht. Natürlich nicht. Sonst wäre es ja keine Aufgabe.
Doch Kaffee, Kaffee mit Rum – da lässt sich ansetzen.
Also begeben sie sich dorthin, die Q, wo Kaffee eine Rolle spielt, Kaffee mit Rum, und wo das wichtig wird, entscheidend wichtig für den Ablauf der Welt. Und dabei ist das gar keine Entscheidung für die Q, nicht einmal Willkür.
Es ist eben wichtig geworden

Und so haben die Q wieder einmal ein besonderes Ziel.

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Es gibt viele Ziele. Eines, beispielsweise, heißt: Leben hervorbringen. Das treibt die Welt. Das treibt einen um in der Welt.
Das treibt einen Planeten um bei seinem Lauf um seine kleine Sonne, die gerade schön hell wird.

Und richtig schön heiß.

Jetzt kocht es, brodelt es in dem einzigen Meer, das ihn bedeckt. Und die Blasen drängen hinauf, hinaus über die dünne werdende Haut. Drängen hinauf und reißen sie auf und springen hinüber ins Leere. Und erstarren. Und fallen zurück. Und treiben wie Schiffe über das Meer.

Das ist der Anfang vom eigenen Leben.
Das reicht hinaus, weit über die Welt.

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Einen Augenblick ist es, als würde das Licht flackern. Ganz kurz nur.
Dann ist es, als sei gar nichts geschehen.
Doch der Wirt reibt sich die Augen. Denn jetzt ist ihm, als sei alles doppelt vorhanden.

Ganz kurz nur.
Beinahe gar nicht geschehen.
Denn da sitzen nur zwei und machen ihren Plan.

Nur zwei?
Nur zwei. Und dann noch zwei.
Aber die sieht man nicht. Die sind gar nicht da.
Nur für den Wirt. Nur für den Augenblick.
Und dann beinahe gar nicht geschehen.

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Ein wenig kafkaesk

Fremdes Land

"Que je m'appelle?"

Ich habe keine Ahnung, was das wohl heißt. Es kommt mir ohne Nachdenken aus dem Mund, während ich hier auf dem Bahnsteig warte, an dem ab und an fremdartige Züge vorbeifahren und keiner hält. Ich muss wohl aufgefallen sein, ein alter Mann hat mich angesprochen, ich kenne ihn nicht und ich verstehe nicht, was er sagt, aber er hat etwas Offizielles und so muss ich wohl antworten.

"Que je m'appelle?"

Ich schüttle den Kopf. Ich weiß nicht, wer ich bin und auch nicht, was ich hier verloren habe. Da sagt er etwas auf Ausländisch, das klingt anders, aber auch nicht unfreundlich, und dann fasst er mich sacht am Arm. Nach drüben will er mich geleiten, nehme ich an, nein, nicht zum Bahnhofsgebäude, sondern quer über die Gleise zur anderen Seite, wo ein winziges, schwarz berußtes Backsteinhaus steht.

Ein Zug fährt vorbei zwischen mir und dem Haus. Sie werden noch von Dampflokomotiven gezogen, diese Züge hier, und schaffen ein winziges Stück Erinnerung wieder hoch – dieser Geruch, ja, das ist der Geruch nach Kindheit, dieser ganz besondere Geruch nach Lokomotivendampf, damals am Steilhang direkt über den Gleisen.

Doch die Gegend hier liegt endlos flach hinter den Gleisen, nichts als ein Meer roher Erde hinter dem Backsteinhaus, kein Baum, kein Strauch, so weit man sehen kann, vielleicht bis weit über den Horizont hinaus, der sich irgendwo dort draußen im Dunst verbirgt.

Man sieht hier dennoch die Züge nicht kommen, man spürt sie erst, wenn sie schon bei einem sind, ganz knapp hinter einem auf jenem Gleis, das man eben stolpernd überquert hat, denn der Schotter liegt hier nur lose zu kleinen Haufen geschoben zwischen den Schwellen. Mehrmals ist das geschehen, bis wir hinüber waren, und der Weg zog sich unendlich lang, vor sich ein Gleis hinter dem andern, hinter sich der bedrohliche Fahrtwind der Züge und das Rattern der Wagen und dieser Geruch nach kalt gewordenem Lokomotivendampf, der doch eigentlich in eine ganz andere Zeit gehört.

"Sorgen Sie sich nicht!", sagt der Mann. Jedenfalls glaube ich, dass er das sagte, denn die Laute verstehe ich immer noch nicht, ja, ich bin mir nicht einmal sicher, ob ich sie überhaupt hörte – es liegt eine seltsame Stille in all diesem Lärm, so als wäre man taub geworden über all dem.

"Sorgen Sie sich nicht!" Nein, ich sorge mich nicht. Ich komme gar nicht dazu, mich zu sorgen, all das Fremde hier strömt nur durch einen hindurch ohne Spuren zu hinterlassen, bleibt schon fremd und ungewohnt und vielleicht sogar ein wenig bedrohlich, aber letztlich berührt es einen doch nicht. Außerdem führt er mich gut, dieser kleine, zerbrechliche, alte Mann, Gleis über Gleis, und genau in dem Moment, in dem man meint, es nähme gar kein Ende mehr, taucht unvermittelt die verrußte Backsteinmauer vor einem auf und in der Mauer ein niedrige Tür, von der in Handteller großen Placken unkenntlich gewordene Farbschichten abblättern.

"Just take a seat!" Ein kleiner Stuhl steht einsam mitten im Raum. Manchmal klingen die Brocken bekannt, die er sagt, weht ein Verstehen wie aus der Kindheit herüber. Doch das verfliegt mit den folgenden Worten gleich wieder, denn die sind dann völlig anders geartet. Jedenfalls nehme ich Platz und der Mann verschwindet hinter einem Vorhang aus Lumpen und räumt dort offenbar mit Töpfen aus billigem Blech.

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