Einladung zur Jagd
Eine lyrische Horrorgeschichte
von
Bernd Pol

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Einladung zur Jagd

Lange hält er es hier nicht mehr aus, denkt sie. Und dann?

Nicht daran denken, Diana! Nicht denken jetzt.Der Augenblick zählt. Nur der Augenblick.

„Woran denkst du, Diana?“

„Ach, nichts!“ Sie entzieht dem Mann gegenüber die Hand. „Nichts Wichtiges jetzt.“

Er strahlt sie an: „Was Schönes?“

„Nein“, sagt sie unwillig. „Können wir jetzt gehen?“

Da winkt er dem Kellner, gibt betont großzügig Trinkgeld, hilft ihr in den Mantel, ganz Kavalier alter Schule.

Er ist doch ganz nett, denkt sie. Warum er, Diana? Warum immer nur er?

Kalt ist es draußen. Sie schiebt ihm die Hand unter den Arm, drängt sich ganz dicht an ihn ran. Gut ist es, sich zu wärmen an ihm, ist er doch groß und kräftig breit. Denn sie mag große, kräftig breite Männer. Sie mag vor allem diesen großen, kräftig breiten Mann.

Warum er wieder, Diana? Sag doch! Warum?

„Und jetzt?“ fragt er. „Dein Auto oder meins?“

„Beide“, sagt sie. Du kannst nicht, Diana. „Beide. Es ist genug. Jeder in seines. Es muss reichen für heute.“

Da ist er enttäuscht: „Mehr nicht? Komm, Diana! Das ist nicht fair.“ Und er presst seinen Arm so stark an, dass sie den ihren nicht herausziehen kann.

Er ist doch stark, Diana! Muss es immer so sein?

„Es muss sein“, sagt sie. „Komm! Lass mich gehn!“ Und sie zittert als ob ihr im Innersten friert.

Da nimmt er sie fest in den Arm. „Hör doch, Diana! Ich halt dich. Ich wärm dich. Es kann dir doch gar nichts geschehen.“ Und sie lässt sich tief fallen in seine Wärme. Einmal noch aufgehn, Diana. Einmal noch wärmen. Ein letztes Mal noch. Und dann?

„Und jetzt?“ fragt er mit Kinderstimme. „Kommst du zu mir? Dort ist es warm. Dort kann dir nichts Schlimmes geschehen.“

Wenn nur der Wind hier nicht wäre, dieser scharfe Zug, der sie zittern macht und die Wolken aufreißt unter einem Himmel, der so klar ist heute und so schwarz und kalte Spätherbststerne tückisch funkeln lässt.

Noch eine Stunde, Diana, noch zwei wenn es hoch kommt, dann steht der Vollmond über dem Berg.

„Und?“ drängt er. „Was ist, Diana? Hatten wir nicht etwas vor?“

Gib nach, Diana, gib nach! Es lässt sich hier doch gar nichts mehr tun.

„Also gut!“ gibt sie nach. „Aber nur, weil es so kalt ist.“ Und, als er da strahlt und auf sein Auto zugeht, ihr die Wagentür aufhält, ganz Kavalier alter Schule: „So nicht, nein! Wir werden beide noch brauchen.“

Also fahren sie getrennt an den Wald vor der Stadt. Ein uraltes Jagdhaus steht dort, ein heruntergekommenes Haus, ganz klein nur, eine Hütte eher als ein richtiges Haus. Aber solide gemauert mit einer schweren Eichentür als Eingang und einem hohen, vergitterten Fenster und einem breiten Kamin an der hinteren Wand.

Dort kommen sie an, weit vor dem Mond, und er steht schon in der Tür, da verzögert sie das Aussteigen noch.

Das Haus da, Diana! Hüt dich vor diesem Haus!

Doch er ist schon beim Wagen, öffnet wie ein Butler die Tür, verbeugt sich, lacht, wie er sie auffängt, als sie unsicher auftritt und stolpernd ihm mehr in den Arm fliegt als eigentlich fällt.

„Bist du schon schwach?“ strahlt er und nimmt sie auf. „Dann trag ich dich über die Schwelle.“

Nein! Er darf dich nicht tragen, Diana! Nicht über die Schwelle!

Doch sie wehrt sich nicht mehr, schlingt ihm den Arm um den Hals, schließt ihre Augen, bis er sie sanft absetzt auf einem uralten, fast nackten Bett.

„Da sind wir, Diana. Ist es nicht schön?“

Sie zittert schon wieder, während sie nickt und er ihr sachte den Pelzmantel aufknöpft.

„Ist dir kalt?“ Er geht zum Kamin, schürt die alte Glut wieder auf. Gib acht jetzt, Diana! Und sie seufzt, wie sie sich dreht, damit sie sieht, was er tut und die alten Federn im Bett dazu quietschen und knarren.

Lass das Feuer, Diana! Geh lieber! Geh!

Er nickt lächelnd hinüber zu ihr, stöbert im Holz, findet nicht, was er dort sucht. „Ich muss noch mal raus“, sagt er sanft. „Ein paar Scheite noch. Es ist nicht genug.“

„Aber“, sagt sie. Aber da ist er schon fort und die Tür bleibt einen Spalt offen. Die Tür, Diana! Geh! Es gibt sonst kein Später mehr. Doch sie geht, zieht den Riegel nur zu. Sieht sich nur um.

Da gibt es nicht viel in dem Raum. Das alte Messingbett, die alte Matratze darauf, der winzige Tisch an der Wand gegenüber, darunter der rohe Schemel mit seinen drei Beinen, zwei brennende Kerzen darüber in Haltern an der Wand. Und dann noch das kleine Feuer im offenen Kamin und der Holzstapel daneben, der für das Feuer nicht reicht, aber...

„Diana!“ Er klopft mit einem Stöckchen gegen die Scheibe. „Das Holz reicht nicht. Es wird einen Augenblick dauern. Mach dich schon fertig einstweilen. Ich bin bald wieder da.“

Das Fenster, Diana! Es wird langsam Zeit.

Dicht steht der Berg hier vorm Fenster. Er hält den Mond länger fern, eine halbe Stunde wenn‘s hoch kommt – dabei erschauert sie wieder, vielleicht weil es am Fenster hier zieht. Wenn sie den Zug abhalten könnte, etwas davor hängen, eine Decke – es gibt keine, den Mantel – das ginge, da sind Nägel auf beiden Seiten vom Rahmen, sie bräuchte nur etwas zum Drauflegen, eine Latte vielleicht, einen Stock ...

Beeil dich, Diana! Bald kommt der Mond.

Im Holzstapel findet sich nichts. Nur dicke Scheite. Sie blickt sich um, sucht, viel gibt es ja nicht, auf dem Tisch nicht und nicht darunter, nicht beim Kamin, nichts an der Wand, nichts unter dem Bett. So was geht schnell.

Er muss aber da sein, Diana! Er ist jedes mal da.

Ihr ist immer noch kalt. Doch wie sie sich bückt, den Mantel von der Bettkante zieht, zerkratzt ihr etwas die Hand.

Siehst du, Diana! Immer ist er irgendwo da.

Da ist ein Stock unter die Matratze geschoben, wie zum Wiederfinden versteckt. Er klemmt beim Herausziehen und wie sie nachschaut, ist da eine Schnur, die sich in den Federn verhakt hat. Eine dünne Leine ist das, flexibel und fest und aus Leder geflochten.

Die Peitsche, Diana! Jetzt bleibt nicht mehr viel Zeit.

Sie überlegt. Für das Fenster reicht dieser Stock nicht, zu dünn, zu flexibel; zu schwer wäre der Mantel. Und wie sie noch prüft wie die Peitsche sich schwingt und ihre Stärke bewundert, hart ist sie und flexibel, schnellt heftig zurück fast wie ein Bogen, da knarrt schon die Tür.

„Oh, Diana!“ Das Holz poltert an den Kamin. „Stehst du auf so was?“ Denn dort steht sie für ihn, im engen Kostüm, eine Domina mit Stiefeln und Peitsche. Und er reißt ihr den Mantel vom Arm, wirft ihn aufs Bett, strahlt sie an, drückt ihr den Stab in die Hand, mit dem er von draußen geklopft hat: „Ja? Willst du, Diana?“ Und sie nickt, meint aber das Fenster – Beeil dich, Diana! – und herrscht ihn an: „Nimm doch den Mantel, Idiot!“

Da wirft er ihn über, kriecht mit dem Pelz auf dem Boden als Tier: „Komm! Schlag mich, Diana! Jag mich, Diana!“

Treib ihn zum Fenster, Diana! Gleich kommt der Mond.

Es glänzt bereits hell auf dem Rahmen. Und sie treibt ihn an mit der Peitsche, viel härter als nötig, denn jetzt eilt es, Diana, quer über den Boden: „Zum Fenster, Idiot! Kannst du nicht hören?“ Doch er kriecht nur und jault unter dem kräftigen Schlag und duckt sich.

„Hoch mit dem Pelz! An das Fenster, Idiot! Sonst bring ich dich um!“

Und wie er sich aufrichtet vorm Fenster, fast ein riesiger Wolf kurz vor dem Sprung, und das Hemd theatralisch zerreißt und zurück brüllt: „Ja! Schlag mich, Diana! Erschieß mich, Diana! Töt mich, Diana!“, da springt sie zum Schemel zurück an die andere Wand, schleudert ihn ihm vor die Füße als Sperre, windet die Peitschenschnur straff um das andere Ende, denkt gar nicht dabei, hat nur den Stab noch bereit, den er ihr gab und der hart ist und gerade und mörderisch spitz.

Jetzt! Er bittet zu töten, Diana! Schnell doch, Diana, heut schaffst du‘s! Nur eil ich! Denn gleich kommt der Mond.

Zu spät, denn jetzt kommt er tatsächlich, der Mond, und wandelt ihn gleich im ersten Strahl.

Das Tier brüllt da auf aus der Enge, nur noch zerreißender, sinnloser Schmerz, nur noch Töten, Zerfetzen ...

Befreien ...

Sie trifft ihn wie immer im Flug, treibt seinen eigenen Pfeil ihm durchs Maul und den Schlund tief ins Herz. Und er prallt an die Wand, dort wo sie eben noch stand, gleitet ab, streckt sich aus beim Kamin, ein riesiger Wolf, schon im Todeskrampf zitternd. Aber er flüstert, wie sie sich über ihn beugt – ein paar letzte menschliche Worte ...

„Warum nur, Diana? Warum schaffst du es nie in der Zeit?“

Dann ist es vorbei. Diesmal verschwindet er rascher als sonst. Und sie nimmt sich den Mantel vom Boden, geht leise, in Tränen, zur Tür, schiebt sie ganz sachte von außen ins Schloss.

Im nächsten Jahr halt, Diana, wenn er dann bittet und keiner mehr weiß, triffst du vielleicht doch endlich sein Herz vor dem Mond.

Sie blickt nicht zurück. Doch ehe sie geht, steckt sie noch Bogen und Pfeil in seinen Wagen. Die wird er anschließend schon richtig versorgen.

Beim nächsten Mal, Diana, ist vielleicht wirklich alles vorbei.

Es bleibt zum Vergessen ja ein ganzes Jahr Zeit.

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