Wie der Geist in die Flasche kam
von
Bernd Pol
Erster Abschnitt

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Beinahe ein Märchen

Ein Flaschengeist ist ein Geist, der in eine Flasche gebannt wurde und dort erst wieder heraus kann, wenn ein Mensch diese Flasche findet und sie wieder öffnet.

Für den Menschen allerdings hat das Folgen. Unangenehme zum Beispiel. Denn oft ist der Geist in seiner Flasche böse geworden. Manchmal hat ihn die Wartezeit verrückt gemacht. Hin und wieder will er sogar überhaupt nicht aus seiner Flasche heraus und ist sauer wegen der Ruhestörung. Im Normalfall aber, nach den geltenden Regeln, ist so ein Geist nach seiner Befreiung dankbar und friedlich und erfüllt seinem Befreier alle Wünsche.

So was kennt man. Darüber gibt es viele Geschichten. Schön, nur – um die geht hier eigentlich gar nicht.

Weil, es ist nämlich so – kaum jemand berichtet, wie ein so mächtiger Geist überhaupt in eine derart kleine Flasche gepackt werden konnte. Das ist verständlich. Es ist ja auch wirklich nicht einfach. Es ist sogar ungeheuer schwierig, sollte man es einmal selbst versuchen. Schon immer war das so.

Wie ungemein schwierig das aber einmal war weiß so gut wie niemand mehr. Dabei ist gerade das höchst interessant. Und lehrreich.

Es wird am besten sein, wir sehen uns das genauer an: Wie einmal ein böser Geist in eine Flasche kam. Wenn es auch eine recht alkoholreiche Geschichte wird. Es kommt ziemlich viel Schnaps darin vor. Aber auch umweltfreundliches Rattengift. Wirklich! Und viele Ahnen. Und Trankopfer für die Ahnen. Die sind sogar sehr wichtig. Beide, die Ahnen und die Trankopfer.

Damit sind wir wieder beim Alkohol. Das ist nun mal so. Da kann man nichts machen. Es kommt Schnaps vor in der Geschichte. Aber richtig gesoffen, so richtig schlimm, wird kaum. Versprochen! Wenn es auch ein oder zwei Ausnahmen gibt. Halt ganz wie im richtigen Leben.

Überhaupt, wie es damals wirklich zuging mit dem Alkohol kann heute ohnehin niemand mehr sagen. Im Grunde ist es auch nicht wichtig. Es kommt ja nicht auf den Schnaps an, sondern auf den Geist darin – das heißt, eigentlich nur darauf, wie die Menschen mit ihm fertig geworden sind.

Und das ist furchtbar lange her...

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Erster Abschnitt
In dem es dem mächtigsten aller mächtigen Geister allmählich langweilig wird und er mit dem Zerstören beginnt

Es ist wirklich schon sehr lange her, so lange, dass sich niemand mehr daran erinnert, so eine Million Jahre zurück vielleicht, mehr oder weniger, so viel halt, dass nur noch ein Flaschengeist sich so weit zurückbesinnen kann. Damals also, vor vielen, vielen Megajahren, gab es einmal einen mächtigen Geist. Einen sehr mächtigen Geist. Einen der allermächtigsten Geister womöglich, die es überhaupt jemals gab auf der Welt.

Jedenfalls war dieser Geist so mächtig, dass er einfach alles haben konnte. Nur so durch ein Fingerschnippen. Dabei war das Fingerschnippen lediglich als Zugabe zu verstehen, weil es ziemlich Eindruck machte. Denn eigentlich brauchte er wirklich nicht mit den Fingern zu schnippen. Es genügte, dass er an etwas dachte, dass er einfach nur wünschte.

Er stellte sich etwas vor. Und schon war es da. Wozu war er schließlich ein Geist, einer der mächtigsten, der allermächtigsten Geister der Welt?

Das aber war gar nicht gut so.

Er langweilte sich nämlich entsetzlich, dieser Geist. Das ist durchaus verständlich. Wenn man alles, aber auch alles, an das man nur mal eben denkt, gleich vor sich hat, dann gibt es eigentlich nichts, auf das man sich richtig freuen kann. Wenn es aber immer wieder nichts gibt, auf das man sich so richtig, so schön lange, so ausgiebig freuen kann, dann verliert man leicht die Freude überhaupt.

Gerade das aber war dem Geist in unserer Geschichte passiert. Es war ein richtiges Unglück. Viele tausend und abertausend Jahre hindurch konnte er sich einfach auf gar nichts mehr freuen. Alles war immer gleich da. Kein Besinnen gab es, kein Abwägen, kein Auskosten der Zeit, bis ein Wunsch endlich in Erfüllung gehen konnte. Keine Vorfreude eben. Und schließlich und endlich überhaupt keine Freude mehr.

Das hatte unangenehme Folgen.

Erst wurde ihm langweilig.

Dann fing er an, an seinen Wünschen herumzumäkeln.

Nichts, was er sich wünschte – und was sich natürlich augenblicklich erfüllte – gefiel ihm mehr. Überall gab es etwas, was ihm nicht passte. Nichts war vollkommen genug. Wünschte er sich beispielsweise eine Suppe, so ärgerte ihn, dass er kein Haar in ihr finden konnte. Wünschte er sich aber zur Abwechslung eine Suppe mit so was, so ärgerte ihn prompt genau dieses eine Haar darin. Sogar dann, wenn er sich nur ein Haar wünschte, passte ihm das nicht, denn nun hatte er ja keine Suppe mehr dafür. Und ganz ohne Suppe und ganz ohne Haare ging die Sache erst recht nicht – obwohl es ihn doch sehr anstrengte, so etwas zu wünschen: gar keine Suppe mit gar keinem Haar darin.

So war das.

Er konnte machen, was er wollte, kein Wunsch passte ihm mehr in den Kram. Wenn aber jemand schon anfängt, an seinen eigenen Wünschen herumzumäkeln, dann geht das böse aus. Vor allem dann, wenn dieser Jemand einer der allermächtigsten Geister ist, die es überhaupt je auf der Welt gab. Das ist ganz klar – wenn schon im Guten fast alles möglich ist, dann ist das natürlich erst recht im Bösen so. Es ist immer einfacher etwas zu zerstören, als etwas neu aufzubauen. Weil – das, was kaputt gemacht werden soll, ist ja bereits da. So was kann jeder.

Mehr oder weniger zumindest.

Soll dagegen etwas ganz neu geschaffen werden, muss man sich das erst einmal einfallen lassen. Das aber strengt oft ordentlich an – sogar den allermächtigsten Geist auf der Welt.

Dabei hatte er hin und wieder durchaus seine Freude daran, wenn er sich mal richtig schön anstrengen musste, wenn es Mühe machte, bis ihm klar war, was er eigentlich wollte. Weil aber danach doch nichts so vollkommen war, wie er es gerne gehabt hätte, weil immer alles irgendwie daneben ging, weil nichts, aber auch gar nichts richtig klappen wollte, weil...

Nun, jedenfalls schlug er bald alles, was er geschaffen hatte, gleich wieder in tausend Stücke.

Einfach so. Kurz und klein.

Dabei fiel ihm etwas auf. Dieses Zerstören und Zerschlagen, dieses Kaputtmachen von etwas, was eben gerade zum Kaputtmachen da war, dieses Zertrampeln und Zerhauen, dieses Toben und Aus-der-Haut-Fahren – dies alles machte ihm richtig höllischen Spaß.

Und bald war es das Einzige, was ihm überhaupt noch gefiel.

Das aber war schlimm. Kann doch ein mächtiger Geist auch mächtig viel Unheil anrichten.

Zuerst ging es ja noch. Da zerschlug er nur solche Sachen, die er sich ausdrücklich herbeigewünscht hatte. Mit der Zeit aber wurde ihm das Herbeiwünschen lästig. Es strengte nur unnötig an, fand er. Gab es nicht auch so schon genug Zeug um ihn herum? Etwas zu zerhauen, was auch so schon längst vorhanden war, das musste doch eigentlich viel angenehmer sein.

Oder? – Es kam nur auf einen Versuch an.

Zunächst begann er mit Kleinigkeiten. Mit irgendwas, was sich gerade in Reichweite befand. Tassen und Teller warf er an die Wand, Krüge und Vasen, sonstigen zerbrechlichen Hausrat. Und richtig – das Klirren und Splittern, wenn das Zeug zerplatzte, freute ihn sehr.

Später geriet er richtig außer sich. Er trampelte und hopste auf dem Scherbenhaufen herum, er schrie und lachte, er tobte, je mehr der Schutt unter ihm klirrte und knackte, je mehr es knirschte, je mehr es staubte.

Das war es! Das fand er ungemein befriedigend. Nicht zuletzt deshalb, weil er sonst keinerlei Mühe hatte. Denn um irgendwelches Saubermachen brauchte er sich ja nicht zu kümmern. Ein Fingerschnipp – nur so zum Spaß – und weg war der Dreck.

Es gab da allerdings bald ein neues Problem.

Woher sollte er sie nur nehmen, all die Sachen? Wünschen kam längst nicht mehr in Frage. Wünschen war viel zu langweilig. Aber was dann? Es wachsen nun mal keine Tassen und Teller, keine Töpfe und Krüge, keine Vasen von selbst aus dem Boden. Nicht einmal bei mächtigen Geistern. Selbst für ihn war die Welt nicht unerschöpflich. Sogar in einem dermaßen reichen Palast wie dem seinen war irgendwann wirklich alles zerschlagen, war alles zu allerfeinstem Staub zermalmt, war schließlich alles fortgeschnippt.

Neues musste her. Und wenn er selbst nicht mehr wünschen mochte, mussten eben andere dafür herhalten.

Die einzigen aber, die überhaupt etwas zum Zerschlagen hatten, bei denen es Geschirr gab, die Teller hatten und Tassen und Töpfe und Vasen, das waren die Menschen

Er fand, das war ein Ausweg.

Einmal, einmal noch wünschte der Geist sich etwas. Mit einem leichten Fingerschnippen, kaum der Rede wert, schuf er eine Armee von Geschirreintreibern. Die schickte er mit geistlicher Befugnis und ausreichender Macht in jedes Dorf, in jedes Haus, zu jedem einzelnen Menschen, damit sie Geschirr, viel, viel zerbrechbares Geschirr zum Zerschlagen heranschafften.

Das machte ihn ziemlich verhasst, was verständlich ist. Weil er aber ein mächtiger Herrscher war, ein sehr, sehr mächtiger Herrscher, konnten die Menschen nichts dagegen tun. So beugten sie sich und begannen mit der Produktion. In überaus großer Zahl stellten sie Teller her und Tassen und Töpfe und Vasen – alles in allerbilligster Qualität, damit der Schaden sich möglichst in Grenzen hielt.

Dieses Zeug gaben sie den Geschirreintreibern mit. Selbst aber aßen sie von Holztellern und tranken aus Blechtassen, denn daran hatte der verrückte Geist kein Interesse.

Dumm waren die Menschen schon damals nicht. Nur leider etwas schwach.

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