Wie der Geist in die Flasche kam
von
Bernd Pol
Dritter Abschnitt

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Dritter Abschnitt
In dem der mächtige Geist immer böser wird und was die Menschen dagegen zu tun versuchen

Alles wurde anders. Mit den Geschirreintreibern hatte der Geist auch alles Geschirr fortgewünscht. Das war schon schlimm genug. Weil er aber ganz besonders zornig gewesen war und in seinem Zorn ganz besonders stark gewünscht hatte, war ihm zugleich jede Erinnerung abhanden gekommen, dass es so etwas wie Geschirr überhaupt gab.

Ja, er wusste nicht einmal mehr, wie sehr es ihm geholfen hatte, wenn er so etwas an die Wand werfen konnte.

So wurde nach kurzer Zeit alles noch viel, viel schlimmer. Denn seine Langeweile wuchs. Und noch etwas wuchs in ihm: seine Lust auf Silber und Gold, auf Diamanten und Smaragde, auf Rubine und alles sonst, was schön war und wertvoll und vor allem möglichst teuer. Damit aber wurde der Geist habgieriger und habgieriger und immer, immer noch viel böser.

Das bekamen vor allem die Menschen zu spüren.

Wenn der Geist nicht gerade als Riese durch die Gegend stapfte, um Hütten und Häuser, Städte und Türme, Burgen und Schlösser zusammenkrachen zu lassen, wenn er Zeit hatte, wenn ihm gerade ganz besonders böse zumute war – immer dann verwandelte er sich in einen garstigen Drachen, der die Gegend absuchte und alles an Schätzen zusammenraubte, was er nur eben bekommen konnte.

Wünschen kam nicht mehr in Frage. Es ging nicht mehr nur um Schönheit und Schätze. Nein, auf einen ganz anderen Geschmack war er jetzt gekommen. Jetzt ging es ihm nur noch um das Besitzen an sich.

Jetzt ging es nur noch um das, was andere besaßen.

Bald war er der größte, der mächtigste und vor allem der habgierigste Geist, den es bis dahin je gegeben hatte. Darüber verlor er den letzten Rest von Güte und Einsicht. Aus dem großen Bewahrer, der er zu Beginn seiner Zeit einmal gewesen war, wurde der Geist zum allergrößten Räuber und Zerstörer, den die Welt je gesehen hatte.

Er war zur Naturkatastrophe geworden.

Zumeist raubte er sich sein Zeug bei den Menschen zusammen. Das war nicht einmal sehr viel – bei den Riesen und Zwergen gab es wesentlich mehr zu holen.

Aber es war besonders grausam bei den Menschen.

Die Menschen konnten trauern. Die Menschen hatten Angst. Und diese Trauer, diese Angst, die spürte er und fühlte sich groß dadurch und mächtig und genoss die wilde Lust, wenn er bei ihnen zerstörte und raubte, was nur immer ging.

Nun hängen aber gerade auch die Menschen sehr an ihrem Hab und Gut. Viele von ihnen sind sogar, genau betrachtet, kaum weniger habgierig als so ein urtümlich böser Geist. Sie konnten und wollten die Verluste nicht einfach so hinnehmen. Also setzten sie sich zusammen und berieten untereinander, was zu tun sei.

Eines nämlich hatten schon damals die Menschen dem Geist bei all seiner Macht und Bosheit voraus. Sie waren schlau und umsichtig. Es musste nur ausreichend Grund geben dafür. Dann rafften sie sich auf und taten sich zusammen.

Außerdem konnten sie bei Bedarf ganz schön schummeln und betrügen. Immerhin hatten sie einst den geistlichen Geschirreintreibern immer nur billigen Plunder mitgegeben. Aber das war mittlerweile schon lange vergessen. Außerdem hatte der Geist ja ausdrücklich gewünscht, dass es diese Geschirreintreiber eigentlich niemals gegeben haben sollte.

Es wirkte nicht hundertprozentig, wie wir wissen. Bei aller Bedrückung – ein Rest Erinnerung blieb. Und die Menschen machten etwas daraus.

Sie wehrten sich.

Wann immer zwei oder drei von ihnen zusammenkamen, sprachen sie sich aus und überlegten und beratschlagten, wie diesem Unheil Einhalt geboten werden könnte.

Zunächst versuchten sie es mit reiner Gewalt.

Man suchte die tapfersten Ritter, die man finden konnte, und ließ sie auf die Riesen los oder die Drachen, je nachdem, in welcher Gestalt der Geist das Land gerade heimsuchte. Auf Dauer jedoch half das nicht.

Oft war es bloße Unfähigkeit. Die meisten Ritter versagten kläglich, wenn sie einen Riesen oder Drachen auch nur von weitem sahen. Sie rannten davon, dass ihre Rüstungen klapperten und quietschten. Kein „Halt!“, kein „Pfui!“, kein „Schande über ihn!“ half da. Das quietschende und klappernde Etwas sauste vorbei, hinterdrein kam ein Riese oder Drache, und alles in der Gegend wurde zerstört oder geraubt.

Manchmal gab es auch Erfolge. Der eine oder andere Ritter schaffte es durchaus, seinen Riesen, seinen Drachen zu besiegen, mit List und Tücke zumeist. Mitunter wurde der der Feind richtig vernichtet, erschlagen, zerstückelt, verbrannt.

Nur half das nicht viel. Denn gleich ob Riese oder Drache, es war immer nur die äußere Hülle. Nie war der Geist selbst davon betroffen. Einen Körper zu verlieren machte ihm kaum etwas aus. Höchstens, dass ihn das Kämpfen und Totstechenlassen ein wenig erschöpfte und ermüdete. Dann flog er eben nach Hause und legte sich zu einem seiner kleinen Nickerchen hin oder machte einen ausgiebigen Erholungsschlaf.

Und so kehrte mitunter für ein paar Jahrhunderte Ruhe ein.

Die Menschen aber feierten ihre Helden und sangen Lobeshymnen und erzählten ihre Taten in schön formulierten Sagen. Wozu hatten sie schließlich Sänger und Dichter? Die machten ihnen wieder aufs Neue Mut. Und im Laufe der Jahre vergaßen die Menschen wieder das wahre Unheil und hatten die alten Erzählungen nur noch, um sich an ihnen zu berauschen.

Ja, manche wünschten sich sogar die alten Zeiten wieder herbei. Das Leben war ja so langweilig geworden. Fanden sie.

Bis alles wieder von vorne losging. Mitten in den Frieden platzten wieder grausige Riesen oder Feuer speiende Drachen herein und zerstörten und raubten. Und alles wurde schlimmer von Mal zu Mal.

Wirklich, es waren schwere Zeiten.

Doch nicht alle Menschen waren so leichtsinnig. Nicht alle hatten nach wenigen Jahren der Ruhe alles Unheil wieder vergessen. Immer gab es Weise und Zauberer, die alles im Gedächtnis behielten, die nachsannen und grübelten, Jahrhundert um Jahrhundert, woher solches Übel wohl käme und wie ihm abzuhelfen sei.

Die Besten von ihnen schrieben das in dicken Büchern auf. Die wurden von denen, die nach ihnen kamen, wieder und wieder studiert und auswendig gelernt. Und weil jeder etwas dazudachte und alles immer wieder neu aufschrieb, erkannten die Weisesten und Zauberkräftigsten nach und nach, dass es sich bei all den Riesen und Drachen um ein und denselben mächtigen bösen Geist handeln musste und dass es gar keinen Zweck hatte, die Monster immer wieder nur zu erstechen oder zu erschlagen, denn früher oder später kam das Unheil ja doch wieder zurück.

Mit der Wurzel musste das ausgerottet werden, wie Unkraut!

Etwas anderes, etwas ganz Neues, etwas ganz besonders Schlaues wurde nötig. Und die weisesten Weisen, die zauberkräftigsten Zauberer sannen und grübelten und erfanden Tricks und Tränke und Zaubersprüche, einer raffinierter und kräftiger als der andere, viele Jahrhunderte lang. Doch nichts wollte nützen. Der Geist war einfach zu mächtig für sie. Er wünschte kurzerhand alles weg, was ihn bei seinen Umtrieben störte. Alle Mühe der Menschen war ihm höchstens so lästig wie Mückenstiche. Und die Menschen selbst waren für ihn nur ein schwaches Gesindel.

Doch dieses Gesindel hatte auch Angst! Hatte so leicht so schreckliche Angst. Genau diese Angst tat ihm besonders gut. Im Laufe der Zeit hatte er gemerkt, wie einfach es war, Menschen in Furcht und Schrecken zu versetzen. Und immer mehr hatte er gerade das genossen. Bereitete es ihm doch viel mehr Lust als das bloße Zerschlagen und Zertrampeln von Sachen.

So erfand er von Mal zu Mal neue Teufeleien.

Jetzt brach das Unheil erst richtig los. Von einer zwar sehr lästigen, im Grunde aber noch recht harmlosen Mückenplage über Heuschreckenschwärme, die aus dem Nichts kamen und alles, aber auch alles wegfraßen, bis hin zu bösartigen und lebensgefährlichen Plagen wie Skorpionen oder kleinen, schnellen Giftschlangen – immer konnte dieser Geist dahinter stecken, der jetzt wirklich durch und durch nur noch eines war.

Böse.

Er schlief kaum noch, saß in den Ruhepausen in seinem Palast und überdachte die Menschen, studierte ihr Leben, suchte nach wunden Punkten. Was er dabei herausfand nutzte er, ihnen möglichst viel Schaden, möglichst viel Angst zuzufügen.

Als Riese oder Drache kam er kaum noch, höchstens alle paar hundert Jahre, zur Erholung. Seine Streiche wurden immer geheimer und immer gemeiner. Dabei erfand er immer neue Wege, den Menschen mit List und Betrug ihre Schätze zu stehlen.

Nie war er so habgierig wie zu jener Zeit.

Doch eben diese Habgier wurde ihm schließlich zum Verhängnis.

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