Wie der Geist in die Flasche kam
von
Bernd Pol
Elfter Abschnitt

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Elfter Abschnitt
In dem die Alten und Weisen eine neue Abordnung schicken und der Allerweiseste und Allerzauberkräftigste einen besonderen Kessel braucht

Das Schwierigste war geschafft. Sie hatten den Geist in die Flasche gesperrt. Auch die Ratten verzogen sich nach und nach. Bald stand die Flasche leer und fest verstöpselt alleine vor der Zauberhöhle.

Mit etwas Mühe konnte man auf dem Flaschenboden einen Schatten erkennen. Das war der schmächtige Mann, der dort seinen Rausch ausschlief, innen größer als außen und voll vom allerbesten Schnaps.

Und in diesem Schnaps trieb seiner Zauberkraft beraubt ein hilfloser Geist und schwor allen allerschlimmste Rache.

Wehe, wenn er jemals dort wieder herauskam!

Das Schnapsereignis sprach sich in der ganzen Welt herum. Bald kamen die Menschen von fernher und zeigten sich die Riesenflasche. Immer neue Lieder entstanden, von denen zum Beispiel das vom schmächtigen Schneider mit dem riesigen Durst viele Jahrhunderte überdauerte.

Die Menschen kannten ja nur die Außenseite. Ein kleiner schmächtiger Mann hatte in dreiunddreißig Tagen schwerster Arbeit eine berggroße Flasche ganz und gar leer gesoffen. Das reichte für viele Lieder zu seinem Gedächtnis.

Die Alten und Weisen aber, von denen der Schnaps stammte, erhielten vom Allerweisesten und Allerzauberkräftigsten ausführlich Bescheid. Das Unheil sei gebannt, erfuhren sie. In Zukunft könnten auch sie ohne Schrecken und Angst leben wie alle anderen auch.

Welch ein Aufatmen ging da durch das Land!

„Wir sollten ein Dankgeschenk schicken“, empfahl der Älteste und Weiseste im Rat. „Das gehört sich so. Wenn es wirklich stimmt, was er sagt, haben wir allen Grund dazu.“

„WENN es stimmt!“ sagten die Ahnen, die dem Rat unsichtbar beiwohnten. Sie hatten noch immer große Zweifel. Nach ihrer Erfahrung fing das Übel über kurz oder lang doch wieder von vorne an.

„Wir sollten uns selbst überzeugen.“

Das empfahlen auch die meisten anderen Alten und Weisen im Rat. Womöglich kamen sie so ja billiger davon. Der viele schöne Schnaps reute sie noch immer. Außerdem fanden sie, dass ein besonderes, ein richtig teures Dankgeschenk im Grunde übertrieben sei. Stand nicht der Allerweiseste und Allerzauberkräftigste im Rufe äußerster Bescheidenheit?

„Nun, wenn ihr meint“, entschied der Älteste und Weiseste im Rat. „Schicken wir halt noch mal eine Abordnung hin. Die wird dann schon sehen.“

Gesagt, getan. Man wählte die Abordnung und stattete sie mit Sachen aus, die man mit etwas Nachsicht als Dankgeschenk betrachten konnte, Erzeugnisse der Gegend, hübsch anzuschauen, doch nicht gar zu teuer. So hielt der Verlust sich in Grenzen und der Form war Genüge getan.

Dann machte die Abordnung sich auf den Weg zum Allerweisesten und Allerzauberkräftigsten, unsichtbar begleitet von einer Abordnung der Ahnen. Auch sie wollten sich selbst vergewissern, dass alles seine Richtigkeit hatte.

Mit eigenen Augen wollten sie sehen, dass die berggroße Flasche bis auf den Geist wirklich leer und für alle Zeiten unlösbar fest verstöpselt war.

Übermäßig eilig hatten sie es aber nicht. Sie kehrten oft und ausgiebig in den vielen Wirtschaften ein, die auf ihrem Weg lagen. Dort ließen sie sich feiern und bewirten. Denn wer hatte letztlich all diese Wunder in die Welt gesetzt? Von wem kamen wohl die drei großen Flaschen? Und von wem der viele Schnaps darin?

So ging es nur langsam voran. Eines Tages aber standen sie endlich vor der Höhle des Allerweisesten und Allerzauberkräftigsten.

„Da seid ihr ja“, begrüßte er sie. „Ich habe ziemlich lange auf euch gewartet.“

„Der Weg war beschwerlich. Verzeih, Allerweisester!“ sagte der Älteste aus der Abordnung. „Aber wir haben dir etwas mitgebracht. Zum Dank für alles, was du für uns getan hast.“

Mit diesen Worten breitete er die Billigwaren vor der Höhle aus. Als Geschenk. Sozusagen.

„Plunder!“ sagte der Vaterahne verächtlich, nachdem er das Zeug in Augenschein genommen hatte. Er war sichtlich beleidigt. „Die machen sich doch nicht etwa lustig über uns?“

„Aber nein“, antwortete der Allerweiseste und Allerzauberkräftigste. „Sie trauen uns nur nicht.“

„Du meinst, sie trauen dir nicht?“

„Nimm's wie du willst“, knurrte der Allerweiseste und Allerzauberkräftigste. Dann führte er die Abordnung zu der Flasche und zeigte ihnen den winzigen Schatten ganz unten auf dem Boden: „Das ist die Wurzel all euren Übels.“

„Wie? Das Winzelding da?“ riefen die Ältesten und Weisen überrascht. „Du machst dich doch nicht lustig über uns, Allerweisester?“

Natürlich kannten sie da längst das Lied vom saufenden Schneider. Doch ein Lied und ein kaum erkennbarer Schatten in einer Flasche sind zwei ganz verschiedene Sachen.

„Aber nein“, antwortete der Allerweiseste und Allerzauberkräftigste. „Ihr dürft mir ruhig vertrauen.“

Dann erklärte er alles der Reihe nach. Er erzählte von dem bösen Geist und davon, wie er die Idee hatte, ihn in eine Flasche zu locken. Er berichtete von dem Drachen und dem Steinriesen. Und schließlich beschrieb er ihnen den kleinen, schmächtigen Mann, der so unmäßig saufen konnte.

Einige Einzelheiten, den Uraltvorderen zum Beispiel oder den Großvaterahnen, ließ er weg. Die gingen niemand was an.

Dafür schmückte er die Geschichte an anderen Stellen ein wenig aus. Beim umweltfreundlichen Rattengift zum Beispiel: Welch ungeheure Wirkung es auf diese Tiere hatte. Das machte den Bericht farbiger. Ratten fangen war damals immer gut.

Die Ältesten und Weisesten der Abordnung aber waren nicht restlos zufrieden. Auch ihre unsichtbar mithörenden Ahnen waren es nicht. Es war bei weitem noch nicht alles klar.

„Wo ist eigentlich der ganze Schnaps geblieben?“ wollten sie wissen.

Konnte es nicht sein, dass der Allerweiseste und Allerzauberkräftigste diese Herrlichkeiten mit irgendeinem Trick auf die Seite geschafft hatte. Bei passender Gelegenheit.

Sie an seiner Stelle hätten bestimmt so eine Versuchung genutzt. Man konnte heutzutage ja niemandem trauen.

„Also, wo ist nun der Schnaps?“

„Immer noch da drin!“ sagte der Allerweiseste und Allerzauberkräftigste und deutete auf die Flasche.

„Aber wir sehen rein gar nichts“, antworteten die Ältesten der Abordnung. „Wie kann das sein?“

„Das ist ganz einfach“, erklärte der Allerweiseste und Allerzauberkräftigste geduldig. „Der Geist hat Besitz ergriffen von dem Mann da. Und nun ist er samt dem Schnaps tief innen in ihm drin.“

„Der ganze Schnaps in dem da drin?“ fragten die Ältesten ungläubig. „Dann ist der innen ja größer als außen!“

„Exakt!“ Der Allerweiseste und Allerzauberkräftigste nickte ernst. „Genau so ist es.“

„Aber das ist ja Zauberei!“

„Was denn sonst?“ lächelte der Allerweiseste und Allerzauberkräftigste.

Dann lud er die Abordnung zu einem siebentägigen Festmahl ein. Bei dem wurde gesungen und getanzt, gegessen und getrunken nach Herzenslust. Auch die Speis- und Trankopfer für die Ahnen beider Seiten fielen nicht zu knapp aus.

So waren schließlich alle zufrieden. Sogar der Großvaterahne. Der hatte einen Saufkumpanen von früher getroffen und mit ihm die Tage und Nächte durchgebechert und durchgesungen. Wie in den alten Zeiten. Ein winziger Tropfen vom beiseite geschafften Rattengift im Wein half übrigens kräftig nach.

So einen schönen Rausch hatten sie beide schon lange nicht mehr.

Als aber das Fest vorüber war, berieten sich die Ältesten und Weisesten der Abordnung mit ihren Ahnen und gingen noch einmal zum Allerweisesten und Allerzauberkräftigsten.

„Verzeih uns, Allerweisester!“ sagten sie. „Um ehrlich zu sein – wir haben dir nicht recht geglaubt.“

Der Allerweiseste und Allerzauberkräftigste nickte gütig und weise.

„Wir verstehen es auch jetzt noch nicht recht“, fuhr der Älteste der Abordnung fort. „Es ist sehr schwierig für uns. Vor allem ist da ein Punkt, der uns große Sorgen bereitet.“

„Ja?“ fragte der Allerweiseste und Allerzauberkräftigste.

„Wenn wir recht verstanden haben, Allerweisester, liegt der Geist dort im Innern des Mannes im Innern der Flasche und kann nicht mehr zaubern.“

„Genau!“ bekräftigte der Allerweiseste und Allerzauberkräftigste. „Das kommt von eurem Schnaps und von meinem Mittel in eurem Schnaps.“

„Das Mittel wirkt aber nicht ewig, Allerweisester? Wenn wir recht verstanden haben?“

Der Allerweiseste nickte nachdenklich: „Da habt ihr leider Recht. Ewig dauert es nicht.“

„Und was wird sein, wenn die Wirkung verflogen ist? Bekommt der Geist dann seine Zauberkraft zurück?“

„So genau weiß man das nicht“, erklärte der Allerweiseste und Allerzauberkräftigste. „Für ein paar Jahrhunderte oder Jahrtausende haben wir ihn hier sicher. Wenn er aber freikommt ...“

„Eben!“ nickten die Ältesten und Weisesten der Abordnung. „Dann seien uns die Götter gnädig!“ Und ihre Ahnen, die unsichtbar dabeistanden, nickten ebenfalls ernst und erfahren mit ihren Köpfen.

„Es muss doch einen Weg geben, das Ding da drin besser einzusperren und uns auf Dauer vom Hals zu schaffen.“

„Da habt ihr durchaus Recht. Es muss so einen Weg geben. Aber der will gut bedacht sein. Wartet hier auf mich!“

Und der Allerweiseste und Allerzauberkräftigste stieg hinunter in die Zauberhöhle und suchte in den Zauberbüchern. Sieben Tage suchte er. Und sieben Nächte. Als er wieder heraufkam war er müde und hatte Kopfschmerzen.

Aber er wusste eine Lösung.

„Ich weiß was wir tun können“, erklärte er den Leuten. „Doch dazu brauche ich noch etwas von euch.“

Da wurden die Alten und Weisen beinahe böse. „Doch nicht schon wieder Schnaps?“ riefen sie durcheinander. „Aber nein, Allerweisester! Das geht nun wirklich nicht!“

Der schaute sie gütig lächelnd an, obwohl sein Schädel brummte und ihm gar nicht nach Güte zumute war. „Nicht doch!“ beruhigte er sie. „Kein Schnaps. Keine Flasche. Wirklich nicht! Das ist vorbei.“

Dann wurde er sehr ernst: „Ich brauche etwas sehr Schwieriges von euch. Etwas, was sich nicht zaubern lässt.“

Die Ältesten und Weisesten der Abordnung schluckten.

„Was brauchst du, Allerweisester?“ fragte der Älteste schließlich. „Wir wollen tun, was in unserer Macht steht. Aber bitte, mach es nicht gar zu schwer.“

„Ich brauche einen Kessel“, sagte der. „Einen Kessel aus allerbestem Erz. Groß genug für diese Flasche hier.“

„Was? So was kannst du doch ganz einfach selber zaubern!“ rief da der Älteste empört. „Wozu das Theater?“

„Einen Kessel kann ich schon zaubern“, erklärte der Allerweiseste und Allerzauberkräftigste. „Das ist kein Problem. Von euch brauche ich das Erz dazu. Da liegt die Schwierigkeit.“

„Wieso das denn, Allerweisester?“

„Es muss ganz besonderes Erz sein. Ihr müsst all eure Furcht und all eure Ängste, alle Tränen und alle Wünsche hinein tun. Und nicht zu vergessen alle Kraft, mit der ihr den Geist bekämpfen könnt. Nur so lässt er sich vielleicht dauerhaft bannen.“

In der Abordnung entstand da einige Unruhe. „Verzeih uns, Allerweisester“, sagte der Älteste schließlich nach einer langen Beratung. „Wir wissen nicht recht, was das bedeutet. Wie sollen wir so was erreichen?“

„Genau weiß ich das auch nicht“, erklärte der Allerweiseste und Allerzauberkräftigste. „Fragt eure Ahnen. Betet und weint, während ihr das Erz abbaut. Eure Tränen sollen jeden Klumpen durchtränken. Lasst eure besten Krieger die mutigsten Lieder über das Erz singen. Lasst eure Zauberer die stärksten Tänze auf ihm tanzen. Tut, was immer euch einfällt. Aber beeilt euch! Wir müssen fertig werden, solange das Mittel noch wirkt.“

„Jawohl, Allerweisester!“ nickten die Ältesten und Weisesten der Abordnung bedrückt. Dann zogen sie nach Hause, so schnell es nur ging.

Keine Wirtschaft am Weg lockte sie mehr

Die Leute aber, denen sie begegneten, erschraken und steckten die Köpfe zusammen und flüsterten: „Wer weiß, was der Allerweiseste da wieder für Unheil angerichtet hat!“

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