Mehr zu den Lebensereignissen
von
Bernd Pol
Persönlicher Teil

Einzelgänger, Träumer, Schreiben: Wahrscheinlich ist es Veranlagung: Seit jeher bin ich gerne für mich alleine. Ich arbeite am besten alleine, ich denke am liebsten alleine (und spintisiere alleine – Qualität lässt sich so allerdings nicht garantieren).

Eigentlich ganz gute Voraussetzungen zum Schreiben.
(Natürlich schreibe ich auch am liebsten alleine.)

Nicht dass ich keine Freunde hätte. Es waren nur nie viele.
Nicht, dass ich nicht unter Menschen ginge, in Gruppen, in Cliquen. Aber so recht aufgehoben fühle ich mich dort nicht.
Ein wenig einsam immer, ein wenig ab- (nicht aus-) gegrenzt, nie recht dazu gehörend, irgendwie.

Das macht das Artikulieren, das Argumentieren schwer: Was so für sich selbst erdacht wurde, interessiert andere oft nicht, oder sie kennen es schon, oder es ist einfach nur Spinnerei – es ist sehr schwer, richtig zu formulieren, wenn man nur im Stillen denkt.

Mehr als Lamento: Diese Eigenheit hat zu mehreren Gelegenheiten entscheidend den Lebensweg geprägt.
Mehr als einmal von Katastrophen begleitet: Man übernimmt sich, um nur dazu zu gehören – das rächt sich.

Aber das Schreiben wird befördert durch so was ...
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Erste Schreibversuche: Schuld war eine Strafarbeit, die wegen Verschleppens immer länger wurde: Sie verdoppelte sich von Tag zu Tag. Schließlich wurde mit einem Besuch bei den Eltern gedroht.
Um dem zuvor zu kommen, schrieb ich in der Nacht auf den Knien vor dem Bett (ich hatte ein eigenes Zimmer damals) voll Erwartung ein ganzes Schulheft mit einer Abenteuergeschichte voll.

Der Rest war ein Menetekel: Die Geschichte wurde nie gelesen – nur die Seiten hat er gezählt, dieser Lehrer damals, mehr nicht – was auf ihnen stand war ihm uninteressant, er sah es gar nicht erst.
Ich habe das Heft (glaube ich) auf dem Heimweg in eine Mülltonne geworfen.

(So endete der erste große ernsthafte Schreibversuch auch gleich mit dem ersten großen literarischen Misserfolg – mene tekel u pharsin)
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Erste Veröffentlichung: Genau genommen liegt die allererste Veröffentlichung weit zurück, irgendwo zwischen dem 12. und 14. Lebensjahr (ich weiß es nicht mehr genau).

Einen Klub hatte ich gegründet damals, einen "Hilfsbereitschaftsklub (HBK)", der alten Leuten behilflich sein sollte. (Sowas war Mode und wurde von verschiedenen Kinderzeitschriften – Micky Maus zum Beispiel – ausdrücklich gefördert.)
Im einzigen Buswartehäuschen in Birkenfeld durften wir einen Briefkasten aufhängen.

Das funktionierte. Aber der Ort war nicht gut. Unser Kasten war nach mehrfachen Anschlägen (vorzugsweise mit Feuerwerkskörpern) kaum noch zu gebrauchen.

Empört! Brief geschrieben. Zum lokalen Mitteilungsblättchen gebracht.
Aufsehen erregt.

Aber (Menetekel!) keinen Pfennig verdient dabei.

(Der Klub ging, nebenbei gesagt, kurz darauf zugrunde ...)
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Freiburg im Breisgau: Viele, die ich kenne, haben sich in diese Stadt verliebt.

Meiner Mutter ging das ähnlich: In den späten 30er Jahren aus einer reichen Bürgerfamilie von Essen nach Freiburg verschlagen, war sie Buchhändlerin geworden und hatte sich gegen Kriegsende in einen holländischen Zwangsarbeiter verliebt und ihn dann geheiratet.

Als ich zur Welt kam, war Freiburg zerstört, Ende 1944, glaube ich, bei einem dieser völlig sinnlosen Bombenangriffe.

Meine Eltern steckten damals mittendrin, und irgendwie muss sich das auf mich übertragen haben:
Noch heute habe ich von Zeit zu Zeit Albträume, in denen Schwärme von brummenden (oder ganz lautlosen!), tieffliegenden Flugzeugen die Welt bedrohen (als Kind war diese Träume häufig, bedrohlich und stark).

Jedenfalls gab es kaum noch etwas in der Stadt, kaum Lebensmittel vor allem, vor allem kaum Milch – sie zogen in den Schwarzwald, nach Haßlach, aufs Land ...
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Haßlach an der Kinzig: Es war vor allem die Milch, die meinen Vater, der eigentlich Buchhalter war, zum Umzug bewogen hatte. Die Mutter konnte nicht stillen – und das Kind hatte eine ungemein empfindliche Haut: Es sollte regelmäßig in Milch gebadet werden.

In Milch! Das damals! Wo es kaum noch was gab!

Ich weiß nicht, wie er es schaffte, aber mein Vater bekam eine Stelle in einer Molkerei auf dem Land. Meine Eltern zogen um. Ich wuchs die ersten Jahre in einem Wirtshaus unterm Dach auf (jedenfalls erinnere ich mich so).

Viel ist nicht im Gedächtnis geblieben, aber eines, das kehrt immer wieder:
Ein Gast isst eine gebratene Taube.
Nur das, und das Erstaunen darüber, dass man Taube essen kann ...

Und noch etwas (glaube ich) von da:
Es gab ein Klavier – und ich hätte doch so gerne spielen gelernt.
(Das sollte sich später noch mehrmals wiederholen - ein Klavier ist mir ein paarmal regelrecht unter den Fingern weggenommen worden - das wurde sprichwörtlich in der Familie für etwas, worauf man vergeblich hofft.)

Und noch eines:
Eine junge Frau malt Menschen, mit Buntstiften; der Hautton, sagt sie, sei nur ganz schwierig zu treffen.
Jahre habe ich später damit zugebracht, Hautton (oder was auch immer) zu treffen; es ist mir nie so gelungen ...
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Hausmann:  In Maßen. Es ist weniger, als ich tun sollte. So ist es halt doch immer wieder die Frau, die einkauft, kocht und putzt und spült.

Jedenfalls in den Phasen, in denen ich schreibfähig bin.

Dann geht nichts anderes:
Hausarbeit ist Gift – sie vertreibt das Schreiben.
Fängt der Tag mit solcher Arbeit an, ist er fürs Schreiben verloren.
Selbst, wenn es mir gegen den Strich geht – es will einfach nicht anders.

Gutgemeinte Theorie (der Haushalt ist zu teilen) und wirkmächtige Praxis (entweder Haushalt oder Schreiben) stehen da in unauflösbarem Widerspruch zueinander.

Auch etwas, was ich erst mühsam lernen mußte: Dass ich so – und gerade so – bin.
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Idylle: Ich mag Idylle (wer tut das nicht), aber ich verfalle ihr nicht. Man braucht einen Raum, wo man weggleiten kann. Die Probleme drängen sich eh viel zu dicht auf die Haut.
Dennoch glaube ich an sie, die Idylle.

Bei Licht und mit gehörigem Abstand besehen entpuppt sie sich meist als Ergebnis von Faulheit und Schlendrian. Meine idyllischen Stellen sind immer etwas schmutzig, immer deutlich unaufgeräumt. Nur auf Fotos, da sieht das ganz toll aus.

Man fühlt sich sauwohl dabei. Solange man es aushält.
Und solange es bleibt.

Vollkommen sind sie nie, klar, aber trotzdem: Idyllen treten weit häufiger auf, als man denkt. Meist sind sie versteckt. Man kann sie nicht suchen. Sie lassen sich nur finden.
Man kann sich nicht auf sie verlassen. Aber sie sind oft dann da, wenn man sie braucht.
Es gibt sie überall. Selbst in den elendsten Verhältnissen ab und zu.

Ich habe das ganz sachte gelernt im Lauf der Zeit.
Ihre Bedingung auch: Zwingen lassen sie sich nicht.

Ein Träumer bin ich. Immer gewesen. Und doch immer wieder ganz tief drin in den Kämpfen der Welt.
Ohne gelegentliche Idylle wäre sowas kaum auszuhalten für einen wie mich.
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Menetekel: Göttliche Warnung, wörtlich "mene tekel u pharsin" (gezählt, gewogen und zerteilt), unser: "Gewogen und zu leicht befunden".

Ich hätte darauf hören sollen!
Immer wieder in der Folge wurde bestenfalls gezählt, nur selten gewogen, viel zu oft ohne Prüfung zur Seite gelegt, abgelehnt, vernichtet, zerteilt.

Viel ist so verlorengegangen, viel zu viel, nicht nur das Schulheft damals – auf vielerlei Wegen, zerstört, verschlampt, auf veralteten Disketten unlesbar geworden, beim Umzug verschwunden ...
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Mikrocomputer, Wie es dazu kam: Zum ersten Mikrocomputer kam ich wie die Jungfrau zum Kind - wir hatten zwei Mofas, die wurden gestohlen.

Eben zur rechten Zeit, in Physik war kein Platz am Institutsrechner mehr frei, das hätte ein Semester extra Wartezeit erfordert - da stand in einer Fachzeitschrift die Anzeige: Mikrocomputer zum Selbstbau.

Das Geld von der Versicherung reichte gerade – ein paar Wochen später war der Bausatz da.
Für die Physik konnte ich ihn nicht mehr gebrauchen - aber das ganze folgende Leben wurde verändert.
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In Milch baden: Es ist eine Familiensage.

Ob ich wirklich jemals in Milch gebadet wurde, kann ich nicht sagen. Falls ja, hat es traumatische Folgen gehabt:
Allein schon, wenn ich mir das vorstelle – so ein klebriges Zeug am Leib – BRRR!
Ich kann nun mal nichts Klebriges auf der Haut haben.

Empfindlich ist die Haut noch heute ...
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Und noch was ... : 
Sie merken was?
Dieser Mann verzettelt sich.

Dieser Mann verzettelt sich immer. (Auch jetzt, sonst stünde hier viel weniger Text.) Aber so ist er, und irgendwie ist es sogar eine Stärke. Und irgendwie bringt er trotz allem eine ganze Menge zu Ende.
Wenn auch meistens zu viel und zu spät ...

Manche ärgert das. Manche verdammen das. Manche lässt es kalt.
Aber es gibt immer Gründe und Anlässe.
Von selbst kommt sowas nicht.

Erstens: Es bewegt sich zuviel. Im Kopf, meine ich. Wenn ich etwas anschaue, im Ernst anschaue, ist gleich eine ganze Welt mit dabei – Vergangenheit und Zukunft, Gelungenes und Schwächen und viele, viele Möglichkeiten ...
... und alles, alles auf einmal ...

Zweitens: Nichts ist perfekt genug. Eben deswegen. Man sieht etwas, und es ist gut, und es reicht dann doch nicht und könnte immer, immer noch besser werden.
Wenn man nah genug dran ist jedenfalls.
Und dann fängt das Feilen an – bis die Kraft erlahmt.

Drittens: Pure Angst. Angst, dass die Kraft nicht reicht. Angst, dass alles falsch ist. Angst, dass alles kaputtgeht, rührt man nur daran.
Versagensängste!
Teuflisch...

Da schleicht einer monatelang wie die Katze um den heißen Brei. Obwohl er sich doch eigentlich darauf freut. Oder gefreut hat.
Da entsteht das ganze Werk im Kopf. Nur im Kopf.
Und die Hände wollen einfach nicht ...

Muss man hat was Anderes tun.
Verzetteln!
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Verschenkt: Im doppelten Wortsinne zu verstehen. Ich habe viel verschenkt. Immer wieder.
Weggegeben und (unter Wert) verschleudert und viel zu oft einfach nur verloren.

Mitunter mussten die Beschenkten mit Tricks überzeugt werden. (... können Sie ruhig nehmen, ist ja ohnehin schon da ...) Sonst glaubte einem keiner, dass es ernst gemeint war, dass es um die Sache ging, dass etwas da war, was unter die Leute wollte, egal unter wessen Namen.
Verschenkt auch oft, weil ich nicht begründen konnte, warum etwas wichtig war, warum es gerade jetzt sein musste, warum es in die Welt sollte, egal wie ...

Hat wenig mit Altruismus zu tun, eher mit Unfähigkeit, etwas alleine zu bewältigen ...

Vieles ist verloren gegangen, viel zu vieles nicht verstanden worden, allzu vieles einfach nur falsch gewesen.
Oder zu früh. Oder zu spät.

Aber es wollte in die Welt gesetzt sein. Und sei es nur zum Verschenken. So oder so.
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Volksschule: Ja, eine richtige 8-klassige Volksschule in diesem Ort vor Pforzheim. Sie war gar nicht so schlecht, so für die Zeit damals und im Nachhinein betrachtet.

Hauptproblem: Der Kerl war extrem blass, extrem dünn und einer der Schwächsten. So wurde er fast mit Notwendigkeit zum Einzelgänger.

Wichtigstes Ereignis: Die erste große, heimliche, Jahre andauernde Liebe – von der niemand etwas wusste, am allerwenigsten die Angebetete selbst.
Zweitwichtigstes Ereignis: Ein Französischkurs – die erste Fremdsprache von vielen, in die ich im Lauf der Zeit hineingerochen habe. (Abgebrochen im Übrigen kurz vor Schluss eben wegen jener großen Liebe – sie saß mir gegenüber und ich hatte nur noch Aug und Ohr für sie – zuviel und zuwenig zugleich für die Lehrerin ...)
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Waldorf, Anthroposophie: Meine Frau ist in einer anthroposophischen Familie groß geworden.
Irgendwann kam die Zeit, dass sie Waldorf-Lehrerin werden wollte.

Wie es nämlich in Marburg mit dem traditionellen Studium nicht mehr so recht lief, nahm sie eine Auszeit und ging erst mal als Praktikantin zum anthroposophischen Behinderteninternat ins hessische Bingenheim.
Das funktionierte nicht schlecht, war aber nichts für die Dauer.

Daher das Waldorf-Lehrerseminar.
Im Sommer 1977 hatten wir eine Wohnung in Stuttgart, ganz in der Nähe.
Mein Vordiplom war gerade bestanden, mit Ach und Krach. Wir hatten fürs erste den Rücken frei.
Etwas Neues stand an.
Für beide.

Mich hat das nämlich interessiert, was meine Frau da machen wollte, die Anthroposophie.
Absolutes Neuland war das.
Was hatte sie da vor? Auf was ließ man sich dabei wohl ein?

Fragen.
Denen war abzuhelfen.
Wenn schon anthroposophische Grundlagenliteratur (einschließlich der wichtigsten Werke Rudolf Steiners) in die Familie strömten - warum sie dann nicht studieren?
Für ein paar Jahre war so die freie Zeit verplant.

Sich auf Neues einlassen - unbedingt einlassen - und doch Abstand wahren.
Annehmen, für Wahr nehmen, erst einmal. Und dann bewerten, einordnen, sichten.
Lernen. Sich einrichten.

Anthroposoph bin ich keiner geworden, nein. Aber ich habe Menschen besser verstehen gelernt.
Und der Horizont hat sich erweitert
Feinfühliger, feinnerviger - die Welt deutlicher spüren - insofern hat sich das durchaus gelohnt.

Waldorf-Lehrerin wurde die Frau übrigens auch nicht. Vier anstrengende Kinder kamen dazwischen.
Da war alle Zeit, alle Muße weitgehend dahin.
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